Mittelreich by Josef Bierbichler; MITTELREICH

Mittelreich by Josef Bierbichler; MITTELREICH

Autor:Josef Bierbichler; MITTELREICH
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: MITTELREICH
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2010-12-31T23:00:00+00:00


Am 26. April 1954, kurz nach dem Mittagessen, fuhr der Landmaschinenhändler Peter Finsterle aus der Kreisstadt einen grünen 25er Normag mit roten Rädern und ausgerüstet mit Riemenscheibe, Mähbalken und Zapfwelle, die Hofeinfahrt hinauf und parkte ihn unterhalb des Scheunentors. Der gewohnte Tagesablauf kam komplett ins Stocken. Alle Hausbewohner, erwünschte und unerwünschte (denn auch die Flüchtlingsfamilie aus dem zweiten Stockwerk hatte sich eingefunden, und niemand wusste, von wem sie die geheim gehaltene Neuigkeit erfahren hatte), versammelten sich hinten oben vor der Tenne und sahen zu, wie der Finsterle dem Seewirt die vielfältigen und schwierigen Handgriffe des neuen Arbeitsgerätes vorführte und erklärte. Die Frauen bewunderten die leuchtenden Farben, die Kinder den betörenden Geruch des frischen Lacks, die Männer fachsimpelten über die tief gefurchten Profile der großen Hinterräder – damit kann man es auch mit einem Panzer aufnehmen, meinte der Valentin – und der Seewirt begeisterte sich, mit einer gewissen Erregtheit des Finsterles Vortrag unterbrechend, an der raffinierten Stahlfederung des Schalensitzes, die für den Fahrer des Bulldogs jede Bodenunebenheit ausgleichen würde. Er ging auf die fünfzig zu und hatte mit ersten Rückenproblemen zu tun.

Aber an diesem Bulldog war alles neu, nagelneu! Man konnte es sehen und riechen, und als ihn der Finsterle jetzt zum zweiten Mal seit seiner Ankunft startete, um den schwierig zu ertastenden, richtigen Kolbenstand im Zylinder beim Handankurbeln des Motors zu erläutern – was nötig werden könnte, wenn die Batterie einmal nicht mehr genug Saft hat te, um den automatischen Anlasser anzutreiben, was zum Beispiel im Winter der Fall sein könnte, wenn es einmal so kalt sein sollte, dass man auch beim Mittagessen die Handschuhe nicht mehr ausziehen würde, wie der Finsterle zur Verdeutlichung sagte –, als der Motor des Traktors also ein zweites Mal anfing zu atmen, da konnte man das Neue auch hören: ein mittelhelles, nicht zu dumpfes und auch nicht zu kindisch hohes Schlagen der Kolben, ein Klang in G-Dur etwa, der langsam anhob, allmählich schneller wurde und immer schneller, bis der Motor sich eingependelt hatte und am Ende, bei rundem Lauf – es war ein Vierzylinder – wie ein einziger durchgehender Ton klang, der sich, je nach Stand des Gaspedals, jeweils ein wenig hob oder wieder senkte. Ein metallischer Gesang, tenoral bis Alt, und der würde nun für alle Zeit das rotzig-feuchte, ekelige und oft auch erschreckend altmodisch klingende Schnauben der Pferde verdrängen.

Die Mare schien es als Erste zu ahnen. In ihrem Gesicht war nichts zu sehen von dem, was sich in den Gesichtern der anderen als Neugier, Freude, Euphorie und ungebändigte Aufbruchsstimmung ausdrückte. Nichts. Sie ging schnell wieder weg und setzte sich in ihr immer noch stinkendes Zimmer und dachte an den toten Lux. Und auch der Viktor ahnte was.

No, sagte er zum alten Fechtner, no, was meinste, da werden se wohl gezählt sein, deine Tage hier, was? Er schaute halb mitleidig, halb spöttisch, als er es sagte, sah in einen feindseligen Blick und erhielt doch keine Antwort. Der Fechtner war der Rossknecht und nicht des Viktors Freund. Er kümmerte sich um die Pferde, und ohne ihn ging nichts, was mit Zugtieren erledigt werden musste.



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